Fachdialog trans*

von | Dez 19, 2019 | Allgemein | 0 Kommentare

Als die knapp 50 angemeldeten Teilnehmer*innen des Fachdiskurses Trans* am Morgen des 6. November im KIJUNA des Stadtteilzentrums Steglitz e.V. ankamen, mussten sie gleich eine ungewöhnliche Entscheidung treffen. Und das, obwohl sie doch eigentlich nur von erfahrenen Fachleuten hören wollten, wie es allen gemeinsam in Schule und Jugendhilfe gelingen kann, dass sich trans*Personen in unseren Systemen und in unserem Bezirk nicht diskriminiert fühlen. Das Jugendamt Steglitz-Zehlendorf hatte dazu eingeladen und den Tag in Kooperation mit dem Stadtteilzentrum Steglitz e.V. geplant und durchgeführt.

Und nun das: die Kollegin des Stadtteilzentrums bat die Menschen beim einchecken, Ihren Namen und Ihr Personalpronomen auf das Etikett zu schreiben……warte Mal, Personalpronomen?…wieso das denn?… und klar könnt ihr mich „duzen“ sagte einer und schrieb „du“ unter seinen Namen.

Für cis oder bio Menschen scheint es offen ersichtlich, ob ich eine Frau oder einen Mann mir gegenüber habe, denen ich dann auch dem entsprechend das männliche oder weibliche Personalpronomen. Da sich aber trans*Personen, wie wir im ersten Vortrag von Mari Günther, einer sehr erfahrenen Beraterin von „Queer Leben“ lernen` erfahren konnten, nicht, nicht ganz oder nicht immer mit dem Ihnen bei Geburt zugewiesenen Geschlecht zugehörig fühlen, ist es für diese Menschen oft eine existenzielle Frage.

Der Sozialraumkoordinator vom Jugendamt Michael Bandt und die Leiterin des Familienstützpunktes vom Stadtteilzentrum Steglitz e.V. Katrin Reiner moderierten den anregenden Vormittag.
Zwei Vorträge und eine Podiumsdiskussion brachten allen, die gekommen waren, das Thema „Transidentität bei Kindern und Jugendlichen“ näher.

In einem kleinen Film, den ein trans* Jugendlicher für seine Mitschüler*innen gedreht hat, um sich zu outen und Ihnen zu erklären, was trans* ist, sagen die Playmobilfiguren zum Einstieg, dass es „so wenig wie die Erde eine Scheibe ist, so wenig auch nur die zwei Geschlechter Mann und Frau gibt“. Und sie erklären auch, dass 0,5 Prozent der Weltbevölkerung transident sind, was bedeutet, dass jede*r 200 te Mensch betroffen ist.

Mari Günther nahm die Teilnehmer*innen mit in die Welt der Kinder und Jugendlichen und deren Angehörige, die sie in der Beratungsstelle begleitet. Nach der heutigen Rechtslage und der Situation im Gesundheitssystem werden trans*Menschen noch immer pathologisiert und müssen eine Diagnose bekommen, die Ihnen eine psychische Erkrankung bescheinigt, um einen Zugang zum Gesundheitssystems zu erhalten.
Auch wenn der Weltärztebund bereits 2015 deutlich gemacht hat, dass es sich nicht um eine solche handelt.
Erst ab dem 1.1.2022, das ist der Tag an dem das neue ICD (Diangnosekatalog) 11 rauskommt, wird die Geschlechtsinkongruenz nicht mehr zu den psychischen Erkrankungen zählen. Sie wird noch darin vorkommen müssen, damit die Menschen den Zugang zu medizinischen Leistungen behalten, wird aber behandelt, wie z.B. eine Schwangerschaft, bei der eine Frau ja auch Zugang zum Gesundheitssystem benötigt.

Neben diesen formalen Gegebenheiten erläuterte Frau Günther aber auch, wie lange Jugendliche oft benötigen, bis sie sich jemanden anvertrauen und das, obwohl sie in den meisten Fällen sich schon sehr früh in Ihrer Kindheit irgendwie „Anders“ fühlen. Dieses, so sagt sie hat auch und damit zu tun, wie wir in Gesellschaft und Familie mit dem Thema umgehen. „Wie oft sitzen wir denn abends in der Familie und die Mutter, oder der Vater erzählen wann und wie das eigentlich bei Ihnen war, als sie in die Pubertät kamen und wie sie ihre Männlichkeit oder Weiblichkeit entdeckt und integriert haben und wie sie das mit dem veränderten Körper fanden? Geschweige denn die Gesellschaft, in der „Transe“ immer noch ein Schimpfwort ist und es keine, oder viel zu wenig Rollenmodelle gibt.

Und dann ist da das Alter: „Die Versorgungsbedürfnisse der Minderjährigen werden noch immer massiv hinterfragt“, so Mari Günther. Wir muten zwölfjährigen die Entscheidung zu, auf welche weiterführende Schule sie zukünftig gehen wollen, aber glauben ihnen nicht, wenn sie über Ihre Geschlechtsidentität eine klare Auskunft geben und uns mitteilen, dass sie mit einem anderen Namen und Personalpronomen angesprochen werden wollen!?“ Wem schadet es eigentlich, wenn wir es glauben und einfach machen, fragen sich die geneigten Zuhörer*innen?

Der Schulleiter Herr Dr. Schönleber von der Königin Luise Stiftung, der später auf dem Podium saß, war mutig, obwohl das Schulamt ihm keine klare Auskunft geben konnte, wie er mit dem Thema Zeugnisse, Sport, Toiletten usw. umgehen sollte. Irgendwann hat es einfach getan! Der Trans*junge an seiner Schule, der sich vor ca. zwei Jahren geoutet hat, war der Erste in seiner beruflichen Laufbahn. Die Schule hat sich entschieden, sofort alle Namenslisten zu ändern, eine Unisex Toilette eingerichtet, einen Workshop für die Lehrer*innen zu dem Thema angeboten, der von „Queer Leben“ durchgeführt wurde und letztendlich sogar die Zeugnisse auf den neuen Namen ausgestellt, obwohl die offizielle Namensänderung noch nicht durch das Amtsgericht beschlossen war.
Die Themen Umkleidekabine und die Zimmerfrage auf Klassenfahrten wurden mit dem Jugendlichen und seinen Wünschen individuell besprochen. Best Practice!

Dr. Jakob Hein, niedergelassener Kinder –und Jugendpsychiater, nahm dann alle Teilnehmener*innen im zweiten Vortrag mit auf die Wege, die ein trans*Mensch durch das System gehen muss, um sich zu outen und ansatzweise mit sich und seinem Körper wohl zu fühlen. Und auch hier wurde klar, wie wichtig für alle Beteiligten, auch die Angehörigen, ein offener und akzeptierender Umgang mit dem Outing ist. Auch er begleitet seit einigen Jahren viele trans*Kinder und Jugendliche in seiner Praxis in Berlin und erlebt es oft, dass Menschen nach ein paar Jahren wiederkommen und sich bedanken und sagen, wie wichtig es war, dass er Ihnen einfach geglaubt und beiseite gestanden hat. Denn Steine auf diesem Weg gibt es genug, sei es die Krankenkasse, die keine neue Versichertenkarte ausstellt, die langen Wartezeiten bei Psycholog*innen, die trans*erfahren sind, oder der lang ersehnte Termin bei der Endokrinolog*in, die in der Lage ist, die unerwünschte Pubertät zu blocken bzw. sogar irgendwann das gegengeschlechtliche Hormon zu verabreichen.

Und dabei kostet der Zustand, sich im falschen Körper zu fühlen täglich schon wahnsinnig viel Energie, so dass es den Kindern/Jugendlichen oft nicht möglich ist den Anforderungen von Schule und Alltag nachzukommen. Nicht selten geht eine Angststörung in Form einer Sozialphobie und/oder eine Depression einher. Laut einer amerikanischen Studie haben bereits 41% der trans*Personen einen Suizidversuch hinter sich.

Um dies zu vermeiden, spielen an dieser Stelle u.a. die Peers eine sehr große Rolle. Denn glücklicherweise ist die heutige Generation größtenteils sehr aufgeschlossen und unterstützend. Die Möglichkeiten sich mit anderen trans*Jugendlichen auszutauschen und von Ihnen zu lernen ist, Dank der digitalen Medien, hilfreich und gut an dieser Stelle.

Aber zurück zum Fachdialog : Nach einer wohlverdienten Pause, ging es weiter mit zwei kurzen Einspielfilmen, in dem sich zwei Jugendliche aus Steglitz-Zehlendorf vorgestellt haben und sich unter anderem gewünscht hätten, in irgendeinem Fach in der Schule mal von dem Thema Transidentität gehört zu haben.
Die trans*Jugendliche sagte, sie war zum Zeitpunkt Ihres Outings die einzige trans*Person, die sie kannte.

In der anschließenden Podiumsdiskussion, kam zu den Fachleuten Mari Günther und Dr. Jakob Hein noch der o.g. Schulleiter und die Mutter eines trans*Jugendlichen dazu. Petra W. hat von der Transidentität Ihres Sohnes von der Schule erfahren. Ihr Sohn hatte sich einem Lehrer in einem Brief anvertraut.
Daraufhin gab es ein gemeinsames Gespräch, in dem sich ihr Sohn mit Hilfe der Vertrauenspersonen in der Schule geoutet hat.
Die Mutter hat zwar sehr akzeptierend reagiert, war aber, so sagt sie heute, fast ein halbes Jahr wie gelähmt. Sie konnte emotional gar nichts machen und kannte auch keine Anlaufstelle. Erst nach einem halben Jahr ist sie auf die Beratungsstelle `Queer Leben` in der Niebuhrstraße in Charlottenburg hingewiesen worden. Nach einer umfassenden Beratung dort sei sie für sich und vor allem ihr Kind wieder handlungsfähig geworden. Mittlerweile hat sie Kontakt zu anderen Eltern von transidenten Kindern und besucht einmal im Monat den „trans*mit“ Elternstammtisch“, der sich im Bezirk trifft.

Die Podiumsdiskussion war sehr angeregt. Es kamen viele Fragen aus dem Publikum, die übrigens auch über eine App digital gestellt werden konnten, falls sich jemand nicht traute diese laut zu stellen. Zur großen Freude der Veranstaltenden (Jugendamt SZ und Stadtteilzentrum Steglitz e.V.) war auch Conny-Hendrick Kempe-Schälicke von der Senatsverwaltung Bildung, Jugend und Familie, zuständig für Grundsatz- und Einzelfragen sexueller und geschlechtlicher Vielfalt, anwesend. Das hatte zum Vorteil, dass gleich die Frage ob das Thema im Rahmenlehrplan aufgenommen wird positiv beantwortet werden konnte. C.-H Kempe-Schälicke hatte extra einen anderen Termin abgesagt, um zu würdigen, dass Steglitz-Zehlendorf sich in der Form eines Fachdialoges mit dem Thema beschäftigt. Ein anderer Grund für das Kommen war natürlich zu hören, was die Bezirke und vor allem die Betroffenen brauchen.

Und das ist mit diesem Fachdialog, den sich in einer Umfrage übrigens viele Mitarbeiter*innen aus Schule und Jugendamt gewünscht hatten, wirklich gelungen!
„Es war ein total guter Einstieg in das Thema“, so eine Teilnehmerin.
Alle haben gehört, wie wichtig es ist, den Wunsch der Kinder und Jugendlichen nach Selbstbestimmung und Akzeptanz zu erfüllen. Und so sind es manchmal kleine Gesten und Signale, wie eine Unisex Toilette oder die Benutzung des Gendersternchens am schwarzen Brett, die Ihnen zeigen, dass wir als pädagogisches Fachpersonal sie „normal“ und nicht als krank behandeln werden und sie gerne auf ihrem Weg begleiten, wenn sie den Mut aufbringen und sich uns anvertrauen.

Und auch die Eltern gilt es zu stärken und über kompetente Beratungsstellen und Selbsthilfeinitiativen zu informieren, die wir zum Glück in dieser Stadt haben. Denn nur gut informiert können Kinder, Jugendliche und deren Sorgeberechtigte die weitreichenden Entscheidungen auf dem für sie wichtigen Weg der Transition treffen.

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https://www.trans-kinder-netz.de/wer-sind-wir.html
Kontakt zum Elternstammtisch : Katrin Reiner, 016096209472

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